Der folgende Gastbeitrag stammt vom Geschäftsführer einer Firma, der seinen gesamten Geschäftsbetrieb auf Linux umgestellt hat. Im Internet liest man ständig, Linux sei für ernsthafte Verwendung im Büro nicht geeignet, aber in der Regel lassen sich zwei Gründe für diese Ansicht feststellen: Anwender denken in bestimmten Programmen (Word, Excel, Photoshop) statt Aufgabenstellungen (Textbearbeitung, Tabellenkalkulation, Bildbearbeitung) und haben sich nicht ernsthaft mit den Möglichkeiten des Systems auseinandergesetzt.
Viel Spaß bei der Lektüre des Gastbeitrags von Jörg Lott, Geschäftsführer von Knowhere Consulting.
Beitragsbild: Photo by Brooke Lark on Unsplash
Irgendwann im August 2021 stolperte ich in meinem Feierabend über diese Frage in einem Facebook-Post: „Gibt es irgendjemanden hier, der Linux ganz normal benutzt? Also Surfen, Büroarbeit, E-Mail schreiben, Banking?“
Gut, am Anfang schmunzelte ich etwas, denn ich war mir nicht sicher, ob man eine Maschine auch nicht normal nutzen kann. Das Schmunzeln liegt aber daran, dass ich als Informatiker hier einen komplett anderen Bezug zu der Thematik habe. Für mich ist es eine Maschine und die muss einfach funktionieren. Also habe ich mich zu einem Kommentar auf diese Frage hinreißen lassen und erklärte, dass ich Linux in meinem Unternehmen komplett einsetze und Microsoft Hausverbot hat. Auf diesen Kommentar gab es einige Antworten, unter anderem die von Robin Pfeifer, der mich bat, einen Gastbeitrag für seinen Blog zu erstellen. Dieser Bitte komme ich sehr gerne nach.
Wie eingangs schon gesagt, stehe ich als Informatiker anders der Thematik gegenüber als so mancher Privatnutzer. Für mich sind Performance, Betriebsstabilität und geringe Wartungszyklen wichtige Maßstäbe bei der Verwendung von Maschinen. Und das muss ganz klar unterstrichen werden: IT-Systeme sind Maschinen und unterstützen uns in unserer Arbeit. Jetzt grenze ich natürlich die Gamer komplett aus, aber – da natürlich auch ich gerne mal zocke – kann ich die Gamer beruhigen: das geht auch mit Linux.
Wie kam ich denn zu Linux? Relativ einfach – im Jahr 1990 begann ich mein Informatik-Studium und im Jahr 1991 erblickte ein neues Betriebssystem das Licht der Welt, welches bei Professoren meiner Hochschule und bei uns Studenten direkt die Augen funkeln ließ. Zu der Zeit gab es damals MS-DOS, Microsoft steckte in den Kinderschuhen mit ihrem Windows, welches damals noch Huckepack auf MS-DOS aufsetzte, und Apple stach mit einem ersten Fenster-basiertem System in den Markt. Selbst habe ich bis vor meinem Studium nur mit MS-DOS zu tun gehabt und lernte im Studium den Umgang mit UNIX-Systemen, die allerdings fast alle kommerziellen Lizenzen unterlagen. Da kam Linux genau richtig.
Allerdings muss ich zugeben, dass Linux zu dieser Zeit tatsächlich nichts für den „normalen Menschen“ war (wir als Informatiker wurden immer als nicht normale Menschen betitelt – daher diese Ausdrucksweise – es soll also nicht diskriminierend sein. Nicht-normale Menschen wie ich sind ja doch eher Nerds). Fakt ist, dass ich mich sehr viel mit Linux beschäftigt habe und in meiner ersten eigenen Firma – die übrigens Microsoft Partner war – im Jahre 1998 komplett alle Microsoft Systeme inklusive der Desktop-Computer durch Linux ersetzt habe. Fortan arbeitete ich ausschließlich mit Linux Systemen auch auf dem Desktop.
Im Jahre 2016 gründete ich mein Unternehmen Knowhere Consulting mit dem Fokus ausschließlich auf OpenSource-Systemen und deren Einsatz im geschäftlichem Alltag. Bei Knowhere setzte ich von Anfang an darauf, keine Microsoft Systeme einzusetzen. Linux – also die Desktop-Versionen – hat sich meinem Empfinden nach in den letzten 15 Jahren prächtig zu einem benutzerfreundlichen System entwickelt. Der Nachteil aus der Entwicklung ist, dass es nun mehr als 600 Distributionen gibt, unter denen man auswählen kann. Ein weiterer Nachteil, den ich für einen „normalen“ Benutzer sehe, ist die Vielfalt an alternativen Software-Applikationen für alle möglichen Einsatzgebiete. Dies mag gerade am Anfang überfordern.
Ergo stand ich vor der Herausforderung, ein System aus den 600 Distributionen zu finden, was einfach und intuitiv zu bedienen war – ohne die Schulungsbedürfnisse meiner Mitarbeiter zu strapazieren – und unseren prozessualen Bedürfnissen genügte. Wir testeten also 17 verschiedene Desktop-Linux-Versionen und setzten die meinen Mitarbeitern vor. Dass die nach dem dritten Test schon leicht genervt waren, versteht sich von selbst. Aber am Ende der Tortur haben wir uns für ein Desktop-Linux entscheiden können, welches die wenigsten Hürden für meine Mitarbeiter aufgeworfen hat. Besonders maßgeblich waren hierbei die Stimmen aller Nicht-ITler, die natürlich auch in einem IT-Unternehmen beschäftigt sind, wie zum Beispiel Sekretär/innen, Buchhalter/innen und so weiter.
Somit entschieden wir uns für elementary OS – eine Desktop Distribution, die auf Ubuntu aufsetzt, wie MAC aussieht und absolut intuitiv zu bedienen ist. Sicherlich nicht jedermanns Geschmack – aber wir überzeugen mit dieser Distribution auch unsere Kunden, die tatsächlich ohne zu murren dieses Desktop-Linux bei sich im Unternehmen einsetzen.
Die Frage nach der Nutzung von Applikationen ist ebenfalls einfach beantwortet. Zu allen – nein, zu fast allen, muss ich fairerweise sagen – Microsoft Applikationen gibt es entsprechende Alternativen. Und genau die kommen bei uns ausschließlich zum Einsatz. Auch hier hat sich viel getan – und Microsoft merkt das natürlich auch. Leider – wie vor 30 Jahren auch schon – merkt man an der einen oder anderen Stelle eine gewisse Inkompatibilität zwischen Microsoft und diesen Alternativen. Diese kommen allerdings nicht von den OpenSource Alternativen, sondern werden von Microsoft bewusst geschürt. Alle Dateiformate sind in RfCs standardisiert, an die sich die OpenSource-Lösungen halten.
Auch für die Gamer kann ich Entwarnung zum Thema „läuft nicht“ geben. Erstens gibt es mittlerweile viele Games, die direkt unter Linux lauffähig sind. Zweitens gibt es neben Wine – das ist eine Bibliothek, um Windows-Applikationen unter Linux zum Funktionieren zu bringen – eine Menge weiterer wine-Ableger. Einer der größten Player in dem Gaming-Umfeld ist Steam, die mit Proton eine sehr effiziente und stabile Gaming-Plattform für Linux zur Verfügung stellt. Mit vulkan gibt es auch eine DirectX-Alternative, auch wenn es hier starke Abhängigkeiten zu der verwendeten Grafikkarte geben kann.
Wer im Business-Alttag auf Microsoft-Programme nicht verzichten kann oder will, der kann sich auch einmal crossover-Office ansehen – eine weitere wine-Alternative. Im Gegensatz zu Proton ist crossover-Office allerdings kostenpflichtig, unterstützt aber ohne großen Aufwand eine große Anzahl an Windows-Business-Applikationen.
Meiner Meinung nach sollte man allerdings überlegen, ob man im geschäftlichen Umfeld auf wine oder dessen Alternativen setzen möchte. Es gibt unzählige Alternativen, die enterprise-fähig sind und den Kriterien eines geschäftlichen Einsatzes entsprechen. Zudem muss man ehrlich sagen, dass sich unsere Arbeitswelt verändert und ein natives Arbeiten durch Arbeiten in der Cloud ersetzt wird. Unter diesem Aspekt liefert Linux erhebliche Vorteile in den Punkten Performance, Sicherheit und Stabilität. Mit der richtig gewählten Desktop-Umgebung fällt sogar einem eingefleischten Windows-Benutzer der Umstieg leicht.
Der Vorteil für Unternehmen liegt auf der Hand: Einfachheit, Betriebsstabilität und geringe Wartungszyklen sowie geringe bis gar keine Lizenzgebühren sorgen für Kosteneffizienz. Auch dem Hardware-Hunger der Microsoft-Systeme kann entgegen gewirkt werden. Auch wenn auf Grund von Abschreibemöglichkeiten es nicht unbedingt weh tut, neue Hardware anzuschaffen, muss man dieses mit Linux nicht unbedingt tun. Linux ist ressourcenschonend. Ein Desktop Linux System mit 4 GB RAM, 50 GB Harddisk und einem älteren Prozessor läuft schon ordentlich flott. Ergo befreit man sich als Unternehmer auch aus der Spirale, immer wieder auf die neuesten Hardware-Systeme setzen zu müssen.
An dieser Stelle muss noch ein Punkt zur Wartung vom Linux gesagt werden: da es so viele Linux Desktop Distributionen gibt, sollte man für den Unternehmenseinsatz auch die Supportzyklen beachten. Elementary OS setzt auf Canonicals Ubuntu System in der LTS-Version. LTS steht hierbei für Long Term Support, das bedeutet, man erhält für eine Version von Ubuntu 5 Jahre lang Wartungspakete in Form von Patches und Security-Patches. Dieses ist besonders für Unternehmen sehr relevant. Zwischen den einzelnen LTS-Versionen hat man hier sogar je 2 Jahre Übergangsfristen, bevor eine Version aus dem Support ausläuft. Somit ist Linux auch für jede IT-Abteilung ein entspanntes Betriebssystem.
Über den Autor:
Jörg Lott ist eingefleischter Digitaler, hat seine Ausbildung in der UNIX-Ecke genossen und ist seit 1990 im Bereich der Unternehmens-IT tätig. Nach anfänglichem Schwanken zwischen Unix, Linux und Windows, welches einfach durch die verschiedensten Jobs in unterschiedlichen Unternehmen begründet war, setzt er ausschließlich auf *NIX-Systeme in seinem eigenem Unternehmen. Seit 2016 ist er Geschäftsführer eines Unternehmens, welches seinen Kunden ausschließlich OpenSource-Lösungen für den Unternehmenseinsatz anbietet.