Wie Desinformation funktioniert

Aus unterschiedlichen Gründen werden zu Themen wie Covid 19 und auch anderen vielerorts im Internet falsche Informationen verbreitet, mal mutwillig, mal aus Unwissenheit. Ein Beispiel ist mir kürzlich besonders sauer aufgefallen, weil es in sozialen Medien geteilt wird, wo es z.B. auf Linked In sogar von Leuten wohlwollend kommentiert wird, die eigentlich behaupten, mit Zahlen beruflich umzugehen. Aber wahrscheinlich greift auch hier der Mechanismus, den Robert Anton Wilson in seinem Buch „Prometheus Rising“ auf die Formel bringt: Was der Denker denkt, beweist der Beweiser.

Bei Wilson ist der Denker eine Instanz im Bewusstsein, die bestimmte Meinungen vertritt. Wenn dieses Bewusstsein (also du oder Sie oder ich) mit einer neuen Information konfrontiert wird, bildet sich der Denker umgehend eine Meinung. Im Falle von Informationen zu Corona heißt das bei mir zum Beispiel, dass ich sehr schnell entscheide, dass es sich um Desinformation handelt, wenn es irgendwie nach Querdenkerei aussieht oder aus einer mir unangenehmen Quelle stammt. Bei anderen Leuten ordnet der Denker eine Information automatisch als falsch ein, wenn sie von der Regierung stammt, vom RKI oder aus einer anerkannten Nachrichtenquelle. Wohlgemerkt, das alles, bevor die eigentliche Information auch nur verarbeitet ist.

Im nächsten Schritt geht dann eine weitere Instanz, der Beweiser, her und beweist sich (also dem Bewusstsein), dass der Denker Recht hat. Der Beweiser orientiert sich in der Regel nicht an den Informationen, sondern nur an der Meinung des Denkers, die es zu beweisen gilt: quod erat demonstrandum.

Wohlgemerkt, ich bin mir dieses Effekts auch bei mir durchaus bewusst. Deshalb zweifele ich eine schnelle Einordnung von etwas als Unsinn (mein Beweiser unterstützt die Meinung des Denkers) im nächsten Schritt noch einmal an. Ist die Information nicht vielleicht doch sinnvoll?

Im Falle der nun folgenden Grafik, die mir so oder ähnlich (andere grafische Aufbereitung, identischer Inhalt) an mehreren Orten untergekommen ist, bin ich mir nach eingehender Betrachtung ziemlich sicher, dass mein Denker Recht hatte: die Information darin ist Desinformation. Aber wie funktioniert sie?

Diese Grafik wird im Umfeld mit Texten garniert, die behaupten, dass die PCR-Testverfahren für Corona so ungenau sind, dass sie völlig an der Realität vorbeigehen. Ziel ist es, die Tragweite von Corona herunterzuspielen.

Der Text am Ende der Grafik stellt die Behauptung auf, man hätte 1.048 positiv Getestete aus 100.000 Getesteten. Das seien nur 4,6% (mathematisch richtig gerundet eigentlich 4,7%) der durch die Tests behaupteten Infizierten. Die Rechnung, die dazu führt, ist mathematisch leicht nachvollziehbar. Die Irreführung liegt aber in den Prämissen, nicht in der Rechnung.

Noch bevor gerechnet wird, wird in dieser Grafik eine Behauptung aufgestellt: 50 Personen von 100.000 sind faktisch infiziert. Wohlgemerkt, nicht aufgrund der Testung ermittelt, denn die folgt ja erst noch, sondern schlicht und einfach Träger des Virus. Aber gibt es denn irgendeine reale Testreihe mit 100.000 Getesteten, bei denen exakt 50 Infektionen zweifelsfrei nachgewiesen wurden und 99.950 Personen definitiv nicht infiziert waren? Oder eine noch größere, für die dies als Durchschnittsangabe gelten kann? Nein, die gibt es nicht. Tatsächlich bewegen sich die Positivraten der Untersuchungen um 9-10%, das heißt, wenn man eine Gruppe von willkürlich ausgewählten (!) 100.000 Leuten testen würde, dann müssten an die 10.000 positive Testergebnisse dabei herumkommen, nicht 50.

Es wurden und werden meines Wissens aber keine Studien mit willkürlich ausgewählten 100.000 oder mehr Leuten gemacht, schon weil dafür keine Kapazitäten frei sind, sondern es wird getestet, wo dafür Bedarf besteht – also bei Leuten mit Symptomen usw. Eine Situation, bei der aus 100.000 Leuten nur 50 tatsächlich infiziert sind, wie sie hier behauptet wird, gibt es schlicht nicht. Und deshalb erübrigt sich auch jede weitere Rechnerei mit dieser Behauptung.

Ich vermute, dass hier einfach die Inzidenzzahl von 50 Infektionen auf 100.000 Bürger (nicht etwa getestete Personen!), die für bestimmte Maßnahmen herangezogen wird, als Basis genommen oder gründlich missverstanden wurde, und die 100.000 Bürger wurden einfach umetikettiert zu getesteten Personen.

Dann folgt ein zirkulärer Beweis. Die Prämisse ist, dass 50 Personen aus 100.000 infiziert sind. Und das Ergebnis der Rechnerei ist, dass nur 49 aus 1048 positiv Getesteten infiziert sind. Bravo! 49 ist ungefähr 50. Schön gerechnet. Die arme Person, die ein falsch negatives Ergebnis hatte, wurde aussortiert. Mehr Wert hat diese Grafik nicht.

Es gibt weitere bloße Behauptungen in der Grafik, nämlich, dass es 2% falsch negative und 1 % falsch positive Ergebnisse bei PCR-Tests gibt. Ob ein Test falsch negativ oder positiv ist, kann nur durch Testwiederholungen an auf anderem Wege nachgewiesen entweder wirklich Infizierten oder wirklich nicht Infizierten geprüft werden. Es gibt Schätzungen dazu, aber keine belastbaren Fakten. Da ist es bei extremen Verteilungen wie 50 aus 100.000 schon abenteuerlich, überhaupt Aussagen treffen zu wollen. Schon eine Änderung an der zweiten Nachkommastelle würde die Rechnung stark beeinflussen.

Unterm Strich zeigt sich, dass dieses Schaubild außer Behauptungen nichts zu bieten hat. Aber es ist bunt und wurde veröffentlicht, vorzugsweise nicht in einem verhassten offiziellen Medium, also muss es ja stimmen. Für den Beweiser eines Corona-Leugners reicht das bunte Bildchen jedenfalls.